3. Teil – Die Autonomen #HH2112 #RoteFlora #LampedusaHH


Was heißt Autonomie überhaupt?

Autonomie bedeutet Eigenständigkeit, Unabhängigkeit, Selbstverwaltung und Entscheidungsfreiheit. Natürlich lässt sich die Autonomie in Deutschland nicht leben. Wir sind zahlreiche Regeln und Gesetzen unterworfen, die wir nicht selbst gestaltet haben, bei denen wir nicht mal gefragt wurden, ob wir sie möchten. Ein autonomes Zentrum ist deshalb autonom, weil alle, die sich in diesem Zentrum aufhalten, es mitgestalten können. Viele Autonome sind Anarchist*Innen. Durch die Propaganda der Mainstream-Medien wird Anarchie in Deutschland jedoch meistens mit Chaos und Regellosigkeit gleichgesetzt. Nicht selten hört man auch den Spruch: “Der Stärkere gewinnt!“ Doch Anarchie ist eigentlich das Gegenteil davon. Anarchie ist die höchste Stufe der Ordnung bei gleichzeitiger, maximaler Freiheit des Einzelnen. Anarchie ist auch keinesfalls eine Utopie, sie hat stattdessen schon mehrfach über Jahre funktioniert. Die größte anarchistische Gemeinschaft umfasste rund 1 Million Menschen. Leider wird an den Schulen wenig über Autonomie und Anarchismus gelehrt. Das führt dazu, dass ein falsches Bild der Autonomie und des Anarchismus in der Öffentlichkeit entsteht. Der Übermacht der Mainstream-Medien können wir Autonome & Anarchist*Innen als kleine Gruppe nur schwer entgegenwirken.

Was in den Köpfen der Menschen dann für ein Bild über die Autonomen entsteht, hat so gut wie nichts mehr mit dem zu tun, was wir eigentlich sind.

Wer wir wirklich sind…

In diesem Teil meines Demo-Berichtes möchte ich versuchen ein differenziertes Bild von uns, den Autonomen, zu zeichnen. Sieht man sich die Fotos und Videos von der “Flora Bleibt“-Demo in Hamburg an, so sieht man eine Menge schwarz gekleidete, vermummte Menschen. Ich weiß wie so etwas auf den/die Zuschauer*In wirkt, denn ich war selbst mal eine. Als Zuschauer*In denkt man sich: “Warum tragen die alle schwarz, warum vermummen die sich und warum schmeißen die Steine?“

Wir gehen regelmäßig auf Demos, wir setzen uns ein für eine andere Welt und wir bekämpfen den Kapitalismus. Die Wirtschaftsordnung ist aber per Gesetz festgeschrieben. Indem wir also gegen den Kapitalismus sprechen, machen wir uns den Staat zum Feind. Dieser wird von der Polizei auf der Straße verkörpert.
Schon allein deshalb ist sie unser natürlicher Feind. Viele von uns leiden unter Repressionen; werden von Nazis oder vom Verfassungsschutz verfolgt. In dem wir uns vermummen, verstecken wir unsere Identität und machen es den Staat schwerer uns mit Repressionen zu bedrohen. Natürlich ist auch ein Stück weit Kultur und Identität damit verbunden. Indem wir uns gleich anziehen, dieselben Symbole verwenden, können wir uns gegenseitig erkennen und unterstützen. Gleichzeitig bringen wir unsere politische Meinung damit in die Öffentlichkeit. Viele von uns machen sich aber auch Gedanken darüber was für ein Bild durch das Vermummen und die schwarze Kleidung in der Öffentlichkeit erzeugt wird.

Was steckt hinter der Vermummung?

Leider ist es für eben diese Öffentlichkeit häufig nicht möglich die Menschen, die im so genannten schwarzen Block laufen, persönlich kennen zu lernen. Ich wünschte mir es wäre so, denn dann wäre unsere Gesellschaft mit Sicherheit ein großes Stück reicher an Menschlichkeit, Nächstenliebe, Klugheit und Solidarität. Die so genannten Autonomen sind häufig junge bis sehr junge Menschen, die sich viele Gedanken machen, um unsere Welt. Sie sind sensibel, schüchtern und nachdenklich. Manche haben nicht viel Selbstbewusstsein. Sie hinterfragen statt zu konsumieren. Sie reflektieren sich selbst und die Gruppe, in der sie aktiv sind. Sie sind solidarisch untereinander, hilfsbereit anderen gegenüber, auch wenn diese nicht der eigenen Szene angehören und nur eine verschwindend geringe Menge verspürt Spaß an Gewalt. Als ich nach der Demo mit jemandem darüber sprach was vorne in den ersten Reihen passiert war, sagte er mir: “Ich kann mir auch besseres vorstellen, als Steine auf Menschen zu werfen, ehrlich. Aber ich will mich nicht mehr für meine politischen Ziele von den Bullen zusammen schlagen lassen.“
Am Abend vor der Demo kam ich relativ spät in unseren Schlafsaal und fand eine Gruppe Jugendlicher, die darüber diskutierte wie die Demo wohl morgen ablaufen würde. Viele sprachen über die Angst vor Polizeigewalt und Repressionen. Alle waren sich darüber im Klaren, dass die Demo morgen eine neue Stufe der Polizeigewalt, aber auch der Gegenwehr, erreichen würde. Niemand saß da und sagte: “Geil, morgen geht’s rund.“ Niemand freute sich darauf Steine zu werfen, Barrikaden zu bauen oder Geschäfte anzugreifen. Doch alle waren entschlossen die Demonstration durchzusetzen, denn alle fanden die Forderungen und Ziele der Demo wichtig.

Viele von diesen jungen Menschen kommen nicht auf die Demonstration um möglichst viel zu erleben. Sie sind häufig in ihren Städten in verschiedenen Gruppen aktiv um zum Beispiel die Kämpfe der Flüchtlinge zu unterstützen, Nazi-Aufmärsche zu blockieren, politische Veranstaltungen zu organisieren, offene Freiräume für alle zu schaffen und zu halten und vieles mehr.
Zusätzlich werden sie vom System meist massiv unter Druck gesetzt. Sie sind anders und das bringt ihnen in der Schule, im Betrieb oder an der Uni häufig Probleme. Von Mobbing über schlechtere Zensuren bis hin zu Repressionen durch den Arbeitgeber ist alles dabei. Für ihr politisches Engagement gibt es selten Anerkennung und noch seltener Unterstützung. Ihnen steht oft wenig Geld zur Verfügung und trotzdem haben sie es alle geschafft die Reise nach Hamburg zu organisieren, um für eine bessere Welt für alle auf die Straße zu gehen. Das letzte bisschen essen und trinken was sie auf der Demo dabeihaben bieten sie dir an, du brauchst nicht mal zu fragen. Sie spülen dir die Augen aus, wenn du von der Polizei Pfefferspray ins Gesicht bekommst und sie tragen Verletzte in sichere Rückzugsgebiete. Auf einigen Videos ist, kurz nachdem die Polizei den Beginn der Demo eskaliert hat, gut zu erkennen wie die Schwächeren aus den ersten Reihen abgelöst werden und stärkere Menschen nach vorne kommen. Während der Demo aber auch während der Krawalle später hörte ich immer wieder Demonstrant*Innen zu Passant*Innen sagen: “Bitte bringen Sie Ihre Kinder hier weg, das ist gefährlich.“ Nicht einmal erlebte ich das ein/e Demonstrant*In von sich aus Passant*Innen anpöbelte oder gar angriff. Im Gegenteil, häufig wurden die Passant*Innen mit größtem Respekt behandelt.

Solidarität mit „den Schwarzen“

Genauso war’s aber auch andersherum. Viele Kneipen, Geschäfte und sogar Anwohner*Innen öffneten ihre Türen für die Demonstrant*Innen, hatten Schilder in ihren Schaufenstern hängen auf denen stand “No Police Violence – Refugees Welcome“.
Als wir, nach einem Besuch in einer solchen Kneipe, wieder aufbrachen und ich mir meine schwarzen Sachen überzog, sah ich mir gegenüber ein älteres Pärchen sitzen, vielleicht 55 oder sogar noch älter. Sie lächelten mich warmherzig an und am Ende sagte die Frau: “Viel Glück euch da draußen.“
Bis auf wenige Ausnahmen, bei denen Passant*Innen die Demonstrant*Innen verbal angriffen, erlebte ich viel Solidarität und große Akzeptanz der schwarzen Gruppen, die durch die Straßen zogen. Es waren die aufgerüsteten, voll gepanzerten Robocops, die den meisten Passant*Innen Angst machten. Das habe ich schon häufiger erlebt und es verwundert mich nicht.

Wer wir nicht sind

Natürlich gibt es die so genannten Krawall-Tourist*Innen. Ihnen geht es weder um politische Ziele, noch um Solidarität mit anderen Demonstrant*Innen. Sie sind zum Spaß da. Sie wollen entweder Nazis oder aber Bullen vermöbeln, randalieren und Gewalt ausüben. Diese Menschen zähle ich weder zu den Demonstrant*Innen noch zu den Autonomen. Für mich persönlich sind sie schlimmer als die Polizei. Denn sie diskreditieren unsere Bewegung, man kann sie nicht optisch von anderen Demonstrant*Innen unterscheiden und gerade durch sie kommt es häufig zum so genannten “friendly fire“. Das bedeutet, dass man beim Schmeißen von Gegenständen Richtung Polizei die eigenen Leute trifft. Gerade in Hamburg hätte ich eine Menge von ihnen erwartet. Doch genau das Gegenteil war der Fall. Kam es mal zu Vorfällen wie dem Entglasen eines Drogerie Marktes, waren es die anderen Demonstrant*Innen die die Randalierer*Innen aufhielten. In den ganzen Stunden, in denen ich in Hamburg unterwegs war, sah ich nur zwei beschädigte Autos, beides Luxuskarossen. Außer zwei, drei kleinen Geschäften wurden nur Symbole des Großkapitals angegriffen. Und selbst hierbei hielten sich die Autonomen zurück. Mit der Menge an handlungsbereiten Menschen, die in Hamburg am Samstag vorhanden war, wären ganz andere Angriffe möglich gewesen, sowohl in Richtung der Polizei und der Politik, als auch in Richtung des Kapitals. #HH2112 war das erste zarte Aufbegehren einer Jugend, die nichts mehr, oder nicht mehr viel zu verlieren hat.
Zur Frage ob und warum Angriffe auf die Symbole des Staates und des Kapitals notwendig sind, gehe ich im vierten Teil meines Berichts ein.

Die Frage nach Schuld und Verantwortung

Bereits in einigen Zeitungsartikeln, wie auch Blog-Artikeln ist deutlich auf die Verantwortung der Politik für die Eskalation am Samstag hingewiesen worden. Dem kann ich mich nur anschließen. In Hamburg wird seit Monaten durch Politik und Polizei ein Klima geschürt, welches soziale Unruhen hervorbringt. Dass sich die Wut der jungen Leute über die monatelangem Repressionen und den völlig grundlosen, gewalttätigen Angriff der Polizei auf die Demo, mit einem Mal auf der Straße entlädt ist nur eine logische Konsequenz. Dass die Polizei immer mehr zum politischen Spielball wird, scheint seltsamerweise die Polizeigewerkschaften nicht weiter zu stören. Auch wenn sich mir dabei noch so sehr die Nackenhaare sträuben, im Grunde müssten wir jede/n Polizist*In dabei unterstützen gegen die Arbeitsbedingungen zu kämpfen unter denen er/sie zu leiden hat. Der Einsatz der Polizei am Samstag in Hamburg war vor allem für ihre eigenen Leute gefährlich.

Diskussionen über Gewalt

Hierbei ist noch hinzuzufügen, dass die Statistik der verletzten Polizist*Innen keinen Unterschied zwischen durch Demonstrant*Innen verletzte Polizist*Innen und durch “friendly fire“ oder anderen Dingen verletzten Polizist*Innen macht. Beim G8 Protest in Heiligendamm gab es 430 verletzte Polizist*Innen bei einer ähnlichen Anzahl von von Demonstrant*Innen. Wie im zweiten Teil meines Demo Berichtes schon geschrieben, hielten sich die Autonomen mit Gewalt gegen Polizist*Innen eher zurück. Angriffe gab es im Normalfall nur als Gegenreaktion auf Polizeigewalt.
Viele Autonome stehen der Gewalt im allgemeinen sehr kritisch gegenüber. Nicht jede*r von ihnen schmeißt Steine, nicht jede*r von ihnen baut Barrikaden, nicht jede*r von ihnen befürwortet Angriffe auf Symbole des Kapitals.
Die Gewaltfrage wurde schon immer in der linken Szene und unter den Autonomen diskutiert. Und schon immer gab es zu diesem Thema sehr verschiedene Standpunkte.

Viel mehr als nur Demonstrationen…

Viele der Autonomen sind auch im Alltag revolutionär und versuchen kleine Erfolge gegen das System zu erzielen. Manche verbringen Nachtwachen an Flüchtlingscamps und sitzen am nächsten Morgen wieder in der Schule. Viele sind Vegetarier*Innen oder Veganer*Innen, viele versuchen strategisch zu konsumieren um Kinderarbeit und Ausbeutung zu vermeiden.
Nie werde ich das Bild vergessen, was sich mir bot, als ich abends das soziale Zentrum betrat, in dem wir in Hamburg übernachteten. Da standen ungefähr sieben Autonome artig in einer Schlange mit der Zahnbürste im Mund vor dem klitzekleinen WC, was wir uns mit ca. 50 Menschen teilten. Zum einschlafen hörte jemand über den MP3-Player Tschaikowsky. Morgens wurden die Langschläfer*Innen liebevoll geweckt und nachts tappsten alle ganz vorsichtig über den Boden, um niemanden zu wecken.
Ich könnte wahrscheinlich noch 1000 andere Beispiele bringen, um die Autonomen zu beschreiben. Doch nichts würde ein Bild ergeben was wirklich der Realität entspricht. Die Autonomen sind eine so heterogene Gruppe, dass man sie erleben muss, um sich ein Urteil über sie erlauben zu können.
Eines ist jedoch ganz gewiss, will man eine bessere Welt für alle, so muss man vor den Autonomen ganz sicher keine Angst haben. Viel eher begreife ich die autonome Szene und ihre Strukturen als einen wunderbaren Schutz auf Demos und im Alltag und als Ort, an dem ich ich selbst sein kann.

Autor: ★ Victory ★ Viktoria ★

Politisch aktiv seit 2010, im Wandel schon seit immer... :-P Hier findet ihr einen bunten Mix aus politischen und "privaten" Texten. Die Themen sind breit gefächert, aber, wie ich finde, halbwegs gut sortiert. Daher stöbert einfach mal rum und sucht euch das aus, was euch gefällt. Für mich lassen sich mein Alltag und mein Privatleben nicht vom politischen Aktivismus trennen. Denn die kapitalistischen Bedingungen haben weitreichende Folgen für jeden von uns. Der Kampf für ein besseres Leben muss in den Alltag integriert werden. Ich spreche Deutsch, Englisch und nun auch Spanisch. Dies eröffnet mir ganz neue Möglichkeiten mich zu vernetzen und zu informieren. Aktuell interessiere ich mich vor allem für die EZLN in Mexiko und natürlich die spanischen Widerstandsbewegungen. Ich würde mich als dem Anarchismus nahestehende Person bezeichnen, glaube aber nicht an fertige Lösungen, sondern nur an Ansätze, die gemeinsam mit der Bevölkerung entwickelt werden müssen. Die antikapitalistische, fertige Lösung dem jetzigen System überzustreifen, würde bedeuten, dass sich eben nichts ändert, weil sich in den Köpfen der Menschen nichts geändert hat. Ein Umdenken und der Wandel des Einzelnen sind das Einzige, was uns davor bewahrt ins Verderben zu schlittern. Denn seien wir mal ehrlich, wenn wir so weitermachen, ist der Planet in ein paar hundert Jahren spätestens sowieso unbewohnbar. Schon mein ganzes Leben lang bin ich angeeckt, weil ich mich nicht fertigen Modellen unterwerfen wollte. In der Schule nicht, in der Uni nicht, im Berufsleben nicht und schon drei Mal nicht bei linken Gruppen und Strukturen. Doch genau die sind es, die vielfach auf eine übelst autoritäre Weise jeden neuen Gedanken im Keim ersticken. Denn schon längst sind auch linke Gruppen Teil des neoliberalen, kapitalistischen Systems. Dort werden neue Gruppen eben als Konkurrenz angesehen, erst Recht, wenn sie nicht die exakt selben Vorgehensweisen haben, wie man selbst. Für mich definiert sich links sein wie folgt: "Ich informiere mich möglichst umfassend zu einem Thema und versuche mir anschließend meine eigene Meinung dazu zu bilden. Doch wann immer sich mir die Möglichkeit bietet, noch mehr darüber zu lernen, werde ich das tun und parallel dazu immer wieder an meiner eigenen Meinung arbeiten. Das kann bedeuten, dass ich im Laufe der Zeit meinen Standpunkt zu Themen mehrfach ändere. Doch das ist nichts wankelmütiges, denn es beruht auf einer Weiterentwicklung. Die Welt befindet sich in einem immerwährenden Wandel und nur, wenn auch wir bereit sind uns zu wandeln, können wir erreichen, dass sich Dinge zum Besseren ändern. "Hab keine Angst einen offenen Geist zu besitzen. Dein Gehirn wird nicht wegfliegen." im Original: "No tengas miedo de tener mente abierta, tu cerebro no va a salir volando." Das Zitat wird der EZLN in Mexiko zugeschrieben.

4 Kommentare zu „3. Teil – Die Autonomen #HH2112 #RoteFlora #LampedusaHH“

  1. Tach Genossin,
    erst einmal vielen Dank für deinen Bericht und die Einschätzungen zur Demo, bzw. des Versuchs der Hamburger Polizei diese zu zerschlagen. Einen guter Ansatz ist es auch, dass du vermitteln willst wofür der „berühmt-berüchtigte“ Schwarze Block der „die Autonomen“ so stehen.
    Manchem von dem was Du schreibst kann ich zustimmen, anderem nicht. Genauer habe ich nur eine andere Perspektive darauf. Wollte ich meinen Widerspruch zusammen fassen, würde ich sagen, dass du mir das was als Autonome gefasst wird von dir etwas glatt dargestellt und idealisiert wird.
    Sicherlich stimmig ist, wenn du schreibst, dass sich viele Autonome als AnarchistInnen betrachten, aber eben nicht alle und manche können auch mit Zuschreibenden oder Labels wie AnarchistInnen oder KommunistInnen nichts anfangen. Ich würde mich mich selbst eher als Linksradikaler bezeichnen. Das was einmal als autonome Bewegung in Bruchstücken existierte ist m.E. spätestens seit der deutschen Vereinigung passé – andere Gruppen eher erben oder Nachfahren davon.
    Frühe Autonome waren sicherlich weniger von dem Begriff der Autonomie alleine geprägt, sondern bezogen sich auf die italienische Autonomie operaia, also eher auf einen undogmatischen marxististischen Ansatz der italienischen Linken. In der BRD stand u.a. die Zeitschrift „Autonomie – Materialien gegen die Fabrikgesellschaft“ für eine Rezeption dieses Ansatzes. Andere waren, wie die HausbesetzerInnenbewegung in den späten 70ern/frühen 80ern sicherlich eher subkulturell und am Punk orientiert. Ihr publizistischer Ausdruck ist vielleicht am ehesten mit der frühen radikalen Verbindung zu bringen. Die vielfältige Bewegung lässt sich schwer auf einen Nenner bringen. Dazu gehören sicherlich auch, mehr oder weniger, die alten Antiimps, die sich an der RAF orientierten. Es ist diese Generation von von Autonomen, die in dieser Form sicherlich nicht mer als Bewegung bestehen. Für viele war es wichtig Politik in der ersten Person zu machen. Also nicht vermittelt durch gesellschaftliche Verhältnisse, sondern selber Subjekt zu sein, das eigene Leben in die Hand zu nehmen, gegen die Fremdbestimmung der Warenwelt. Ich denke gemein ist den meisten Strömungen der Versuch Kollektivität in irgendeiner Form im Hier und Jetzt für sich und andere praktisch umzusetzen. Im Prinzip handeln meiner Ansicht nach viele, die sich als autonome bezeichnen nach dem Knatschen Imperativ: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ und sind so gar nicht weit von den Wurzeln der bürgerlichen Gesellschaft entfernt. Manchmal zum Guten wie zum Schlechten. Häufig wird dabei angesichts der eigenen hohen moralischen Ansprüche ausgeblendet, dass alle Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse durch und hindurch gehen, wir also als Individuen in Herrschaft verstrickt sind. Diese Verstrickung lässt sich nicht per Beschluss, sondern nur in der Reflexion ein stückweit aufheben oder eher bewusst damit umgehen.
    daher machen sich Herrschaftsverhältnisse auch in autonomen Aktionsformen und -diskussionen bemerkbar. Das gilt auch und gerade für den Bereich der Militanz. Nicht umsonst gab und gibt es immer wieder Diskussionen um Mackermilitanz und das Abdriften von Militanz in eine militaristische Haltung – überhaupt ist bereits die Reduzierung von Militanz auf einen gewalttätigen Akt problematisch, da ist mir ein Begriff von Militanz als einer Haltung, die sich nicht integrieren lässt sympathischer. Was im übrigen für die einen als Szene ein guter Schutz auf Demos und im Alltag darstellt wie du schreibst, wirkt auf andere, außenstehende schnell undurchdringlich, elitär und wenig zur teilnahe, einladend – das ist auch ein Nachteil der subkulturellen Orientierung der bundesdeutschen Linken, so nachvollziehbar und sympathisch ich sie im Einzelnen finde.
    Soweit ein paar flüchtige Zeilen, die eher Ergänzung und Perspektivwechsel zu deinem Beitrag darstellen sollen, als eine Kritik. Mit etwas Glück schaffe ich es bei Gelegenheit zu deinem vierten Teil etwas zu schreiben.

    Saludos IgorNet

    1. Hallo IgorNet,

      zunächst einmal vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar. In vielen Punkten stimme ich dir absolut zu. Mein Beitrag sollte auch eher eine Diskussions-Anregung sein, als eine allumfassende Analyse. Und natürlich kämpft man gegen Windmühlen, wenn man versucht, das Bild, welches die Mainstream-Medien erzeugen, zu widerlegen. Daher habe ich mich bemüht den Text einfach und verständlich zu halten.
      Du sprichst von Subkultur und genau das empfinde ich auch oft als störend an der linken Szene, obwohl ich sehr genau verstehen kann, woher dieses Verhalten kommt. Doch auch dein Text ist schon für jemanden, der sich mit diesen Themen beschäftigt hat, schwer zu verstehen. Wie wird er wohl wirken, auf jemanden, der sich bisher mit linker Politik gar nicht auseinander gesetzt hat? 🙂 Wir benutzen Wörter, Symbole und Praktiken, die über Generationen weitergegeben wurden, oft ohne sie kritisch zu hinterfragen, oder gar auf uns umzumodeln. Vor allem aber ohne uns zu fragen, ob wir diejenigen, die wir erreichen wollen, damit überhaupt ansprechen. Ich denke, ein Stück weit war das immer schon ein Problem der linken Szene, aber gerade in der heutigen Zeit ist es etwas, was wir uns schlicht nicht erlauben können, wenn wir ein Interesse daran haben, größer zu werden.
      Ein ebenfalls großes Problem sehe ich darin, dass wir kaum noch Räumlichkeiten haben, in denen wir Thematiken diskutieren können, bzw. vermitteln können. Nur allzu häufig erlebe ich sogenannte „Informations-Veranstaltungen“ eher als Bestätigung der wenigen Aktiven. Jemand steht vorne, spricht anderthalb Stunden über etwas, was den Zuhörer*Innen größtenteils sowieso bekannt war und am Ende geht man mit dem Gefühl nach Hause, wenigstens anwesend gewesen zu sein.
      Wollen wir eine junge, unpolitische Generation mit unseren Themen erreichen, müssen wir uns damit beschäftigen, wie sie Informationen konsumieren und wieso sie größtenteils nicht zu unseren „Info-Veranstaltungen“ kommen. Ob wir statt Flugblättern mit ellenlangem Text, gespickt mit szenetypischen Fachwörtern, nicht stattdessen lieber Comics verteilen sollten? (Ist jetzt nur ein Beispiel)

      Auf der anderen Seite bemerke ich aber auch eine Politisierung genau dieser Jugend. Wie ich in meinem Artikel schon schrieb, waren es eben auch die „ganz normalen Jugendlichen“ in „H&M-Klamotten“, die auf den Straßen Barrikaden bauten. Ich denke, unsere größte Verantwortung liegt darin, diese „neue“ Generation zu unterstützen und ihnen unser Fachwissen zu vermitteln, allerdings ohne ihnen Dogmen aufzuzwingen. Höchstwahrscheinlich können auch wir (ich zähle mich da, mit knapp 30, schon eher zur älteren Generation) auch eine Menge von ihnen lernen. Daher besteht mein Ansatz darin, andere „Lehr- und Lernstrukturen“ zu schaffen, in denen weniger das „Lehrer*In-Schüler*In-Verhältnis“ im Vordergrund steht, als die Gruppendynamik.

      Hierbei sind die Punkte die du über die verschiedenen Strömungen der linken Szene anführst natürlich sehr wichtig. Denn aus der Vergangenheit können wir alle nur lernen. Die Frage ist dann aber natürlich wieder die der Vermittlung.

      Zum Thema Militanz kann ich dir nur absolut zustimmen. Auch hierbei hatte ich für mich nicht den Ansatz eine fertige Analyse abzugeben, sondern viel eher Klischees und Vorurteile aufzuheben und in einfachen Worten zu erklären, warum Menschen militante Aktionen befürworten. Grundsätzlich schreibe ich vieles hier auf diesem Blog eher für die bürgerliche Gesellschaft, als für die linke Szene, versuche eine Art Sprachrohr zu sein und zu vermitteln.
      Ich glaube auch nicht, dass eine umfassende Analyse der linken Szene, bzw. der Militanz in einen Blogartikel passt. Vielmehr sind es die vielen, verschiedenen Ansätze der „Hobby-Journalist*Innen und Blogger*Innen, die ein differenziertes Gesamtbild zeichnen können. Und am Ende gilt sowieso, kein noch so guter, umfangreicher Artikel kann ein persönliches Gespräch von Angesicht zu Angesicht ersetzen.

      In diesem Sinne: Für mehr echte Diskussions-Veranstaltungen in der Öffentlichkeit mit und über die linke Szene…

      PS: Ich freue mich immer über qualifizierte Kommentare. Bei Bedarf können wir auch gern mal gemeinsam Texte entwerfen. 🙂

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